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Dämmerlicht
Dunkelheit umgibt mich. Aber mich
umgibt immer Dunkelheit.
Nie in meinem Leben habe ich etwas
anderes außer den Sternen oder Fackeln gesehen –
vielleicht hier und da mal eine Petroleumflamme, aber im Großen
und Ganzen...
Ein Leben in der Dunkelheit –
früher war ich zufrieden damit. Ich war jung, ich war zornig und
ich war gierig - gierig nach dem Blut der Menschen, zornig wegen den
Gargolyes, die uns das Leben schwer machte.
Aber im Laufe der Jahrhunderte habe ich
gemerkt, dass unser Leben auf einer Lüge aufbaut: In unserer
Tradition heißt es, unsere Vorväter hätten die
Bestimmung der Gargoyles als einzige verstanden – dass wir
nicht Diener und Beschützer der Menschen sein sollten, sondern
ihre Herren.
Deswegen haben sie sich aufgelehnt und
sich, durch die Magie der Zauberer, zu etwas Besserem
weiterentwickelt: zu uns, den Vampiren.
Doch das ist gelogen – wir sind
keine Herren, wir sind Bestien, Monster in Menschengestalt.
Ich wüsste zu gerne, wie die
Gargoyles diese Geschichte erzählen. Ob wir für sie die
Gefallenen sind? Verräter an der eigenen Art?
Ich könnte es ihnen nicht
verübeln.
Alles in mir schreit: „Du bist
unschuldig – du bist als Vampir geboren. Die Entscheidung wurde
nicht von dir getroffen.“ Aber ich weiß, dass das nicht
stimmt.
Ich habe, kaum dass meine Hände und
meine Zähne stark genug waren, mich auf die Jagd gemacht –
ich wollte Menschenblut schmecken. Ich wollte meine Zähne
in das Fleisch eines Menschen schlagen und ich wollte endlich zu
einem Herren dieser Welt werden. Und ja, es war ein Rausch –
dieses Gefühl ist unbeschreiblich!
Seit jenem Tag sind Jahrhunderte
vergangen. Und ich habe tausend und aber tausende Menschen getötet.
Aber irgendwann beginnt das Blut schal zu schmecken und die erwartete
Befriedigung setzt aus. Ich töte mittlerweile nur noch, um zu
trinken – um damit einen weiteren Tag zu überleben. Es
bereitet mir keine Freude mehr und die Menschen, die ich töte,
sie tun mir Leid. Sie haben Besseres verdient.
Ich höre, wie die Jäger der
Nacht sich zum Schlafen zurückziehen. Auch ich müsste bald
los, wenn ich vor Sonnenaufgang bei meinem Clan sein will.
Aber ich bleibe hier – und sehe
weiter auf die Stadt in dem Tal unter mir. Eine kleine Stadt voller
Menschen, die leben, arbeiten lieben und sterben.
Und ich bin neidisch.
Ihr Leben mag begrenzt sein, aber es
ist nicht dem Tode geweiht. Sie müssen nicht töten, um
selber zu leben. Und wenn ihre Zeit gekommen ist, so vergehen sie.
Aber dieses ewige Leben in der
Dunkelheit – ein Leben in Tod und Leid. Wo man nach Hunderten
von Jahren erkennen muss, dass die meisten Bekannten von einem
gegangen sind – das ist ein Fluch!
Sicher, solange meine Prinzessin der
Nacht bei mir war, ging es noch. Sie hat mich oft aufgemuntert und
mir oft noch Mut zum Leben geschenkt.
Aber sie ist schon vor Jahren getötet
worden. Menschen hatten sie gefangen und gefoltert – und
zuletzt auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Natürlich habe ich dieses Dorf
dann vernichtet – aber ich kann diese Menschen verstehen. Auch
sie wollen leben – genau wir wir, genau wie ich einst.
Doch mittlerweile – mittlerweile
habe ich nur noch einen Wunsch. Ich will einmal den Himmel sehen. Ein
einziges Mal möchte ich den Himmel sehen, ohne dass Sterne auf
ihm funkeln. Deswegen sitze ich hier – zu einer Zeit, wo die
meisten Vampire schon längst versteckt sind, denn jeden Moment
kann die Sonne aufgehen.
Aber mir ist das egal. Schon jetzt, im
Dämmerlicht, ist der Himmel schöner als alles, was ich je
gesehen habe. Wie wird er erst sein, wenn die Sonne auf ihm strahlt?
Naja, das werde ich wohl nie erfahren.
Aber vielleicht kann ich wenigstens
einen kleinen Blick erhaschen.
Dort, im Osten färbt sich der
Himmel rot – die Sonne geht auf.
Und ich sehe das Tageslicht...
ENDE
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