„Frühstück!“ Laut und dröhnend hallte die Stimme des Bauern Marik durch sein Haus. Alle kamen – seine Frau, seine Söhne und die Knechte. Nur seine Tochter kam nicht.
„Weiß einer, wo Siria ist?“ fragte Marik.
„Nein, ich habe sie heute noch nicht gesehen.“ antwortete seine Frau.
„Ich gehe sie holen.“ sagte Marik. „Ich möchte den Tag mit euch allen gemeinsam beginnen.“
Also ging Marik in den ersten Stock zu dem Zimmer seiner Tochter. Doch das Zimmer war leer – und das Bett sah aus, als hätte es niemand in dieser Nacht benutzt. Der Schranktür stand weit offen, aber ihr Mantel und ihre Stiefel waren nicht zu sehen.
Auf ihrem Kopfkissen lag ein Zettel.
Marik setzte sich hin und nahm den Zettel. Die Schrift war eilig, aber definitiv die Schrift seiner Tochter. Marik fing an zu lesen:
Er ist so ein toller Mann,
den ich nicht vergessen kann.
Und er ist der Herr der Nacht,
hat mich um den Schlaf gebracht.
Hat mich hier schon oft besucht.
Und mein Herz pocht voller Wucht,
wenn ich nur kurz an ihn denk -
ich hab' ihm mein Herz geschenkt!
Heut' Nacht wird es geschehen,
ich werd' ihn wiedersehen,
ich reiss' aus und flieh zu ihm,
wo ich endlich glücklich bin.
Fassungslos lies Marik den Zettel nach unten gleiten.
Seine Tochter war weg!
Nach einigen Minuten der Erstarrung kam er wieder in Bewegung und rannte nach unten in das Esszimmer. Dort erklärte er mit hastigen Worten, was geschehen war.
Während seine Frau in Tränen ausbrach, verließ Marik bereits das Haus und rannte zu seinem Nachbarn.
Von jedem Knecht, den er zu sehen bekam, forderte er Rechenschaft. Aber keiner der Männer hatte die Tochter in der Nacht gesehen - auch wenn einer der Männer zugab, dass er schon lange heimlich in Mariks Tochter verliebt war.
Marik besuchte noch drei weitere Nachbarn - doch ohne Erfolg. Als er gegen Mittag wieder zu seinem Haus kam, warteten dort schon die führenden Männer des Dorfes. Wie er nun erfuhr, hatten seine Söhne die Nachricht verbreitet.
Nach einer kurzen Beratung wurden Männer mit Pferden in alle Richtungen ausgeschickt um sie zu suchen.
Marik ging wieder zu seiner Frau ins Esszimmer und setzte sich zu ihr. Eng umschlungen und zitternd warteten sie auf die Männer.
Am frühen Abend kamen die ersten zurück. Sie hatten nichts entdeckt. Als es immer später wurde, kamen mehr.
Und dann kam einer, dessen Pferd nur langsam schritt. Vor ihm hatte er einen Körper liegen.
Es war Mariks Tochter - bekleidet, dreckig und tot. An ihrem Hals waren Bisswunden zu sehen.
Zu ihrer Beerdigung kam das gesamte Dorf. Alle trauerten um sie - und mit ihrem Tod war auch der Frieden im Dorf gestorben: seit Jahrzehnten war kein Vampir mehr in dieser Gegend aufgefallen und die Dorfbewohner hatten sie beinahe vergessen.
Doch nun waren sie wieder da! Und offensichtlich konnten sie an jeden Ort dringen, wo sie wollten. Niemand war dieses Mal sicher vor ihnen.