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feronien
gefallene Sterne


Es war Nacht, als die beiden sich das erste Mal trafen. Der Initiator des Treffens war ein großer und gut gebauter Vampir. Sein Gegenüber war ein Mensch. Sie sahen sich, weil Lircan, der Vampir, einen Auftrag für den Menschen hatte.
Denn Maris war etwas Besonderes, er war einer der besten Einbrecher, den man in diesen Zeiten für Geld kaufen konnte.
Und Lircan brauchte den Besten: Denn sein Ziel war nicht irgendeine Burg, nein, er wollte einen Drachen berauben.
Dieser Drache besaß, wie alle Drachen, genug Gold, um Lircan ein prächtiges Leben zu ermöglichen. Und Lircan wollte prächtig leben. Seit über 100 Jahren lebte er in Höhlen und Grotten und versteckte sich vor Gargoyles und Vampiren.
Er hatte kein Interesse, sich an diesem Krieg zu beteiligen; dafür wollten ihn die Vampire töten. Und die Gargoyles – nun, Lircan liebte das Blut junger und schöner Frauen.
Er war das Weglaufen und Verstecken Leid. Er wollte sich die Freiheit und Sicherheit erkaufen, die er brauchte.

*****

„Was genau wollt Ihr von mir?“ fragte Maris. „Wen soll ich berauben?“
„Nun, kommt mit mir! Das habt Ihr noch nie erlebt: Wir gehen auf Drachenjagd.“
Maris stockte: „Drachen? Ihr wollt einen Drachen berauben? Noch nie hat jemand das gewagt – das ist Wahnsinn!“
„Nun, wenn das so ist, dann brauche ich Euch nicht.“ erwiderte Lircan und ließ beiläufig seine Fangzähne aufblitzen.
„Nun ja, vielleicht wäre es doch ein Versuch wert. Denn, stellt Euch nur vor: einen Drachen zu berauben wäre meine größte Heldentat.“
„Wie schön für Euch – kommt Ihr nun endlich?“ drängte Lircan.

*****

Schon nach wenigen Stunden waren sie an der Höhle des Drachen angekommen. Der Eingang war so staubig, als wäre seit Jahrzehnten niemand mehr hinein gekommen oder hätte die Höhle verlassen.
Leise und vorsichtig wagten sich die beiden vor.

*****

Nach einer Stunde erreichten die beiden die größte Höhle, die größer als ein Ballsaal war. Die ganze Höhle war mit Schätzen überfüllt. Auf den Bergen von Gold lagen Diamanten und Saphire. Kronen und Zepter konnten in den Stapeln erspäht werden und vergoldete Waffen standen an der Wand.

In der Mitte des Raumes lag der Herr des Schatzes, ein riesiger, roter Drache. Vom Kopf bis zum Schwanz maß er zehn Meter und die beiden konnten erkennen, welch riesige Flügel sich an seinen massigen Leib schmiegten. Aus seinen Nüstern kam Rauch, aber er schien zu schlafen.

*****

Doch als Maris einen Fuß in die Höhle setzte, hob der Drache seinen Kopf und spie einen Feuerball auf den Menschen. Von der Macht der Flamme getroffen wurde Maris gegen die Wände geschleudert und fiel zu Boden.
„Was willst du, Vampir?“ donnerte der Drache.
„Das Gold – was könntest du schon mit ihm machen? Für dich ist es doch eh nutzlos.“
„Verstehst du nicht?“ fauchte der Drache. „Hast du dich nie gefragt, warum wir Drachen Gold und Schätze horten? Was wir am Gold so reizvoll finden? Wir kaufen nicht, wir handeln nicht – und dennoch streben wir unser ganzes Leben nach Gold. Wir lieben das Gold – weil es uns an zu Hause erinnert!“
Verwirrt sah ihn der Vampir an.
„Wir waren einst im Himmel – wir waren da oben. Wir waren einst Sterne.“
Lauthals fing Lircan an zu lachen.
Ein Flammenstoß traf ihn beinahe und das Gebrüll des Drachen erfüllte den Raum.
„Ich lüge nie! Ich stehle, ich raube und ich morde – aber ich lüge nicht! Wir waren einst Sterne. Wir flogen mit den anderen um die Welten und sahen von oben das Leben aller Kreaturen. Und einige von uns faszinierte dieses Leben. Wir näherten uns immer mehr ihrem Planeten. Und je näher wir kamen, desto mehr faszinierte uns das Treiben. Und irgendwann kamen wir an – wir standen auf derselben Erde wie sie. Wir lebten unter ihnen und genossen die Zeit. Doch als wir genug hatten, als wir zurück wollten – konnten wir nicht. Wir waren gefangen. Und eure Welt, die uns früher so schön und wundervoll erschien, wurde auf einmal grau und trist. Nur Gold erinnert uns an daheim. Sein Glanz ist zwar nur ein schwacher Abglanz – aber es erinnert uns. Deswegen horten wir Gold.“
„Aber auch das Gold bringt dich nicht zurück, oder?“ fragte Lircan hämisch.
„Nein, aber es bewahrt meine Erinnerung!“
„Nun, ich denke – soviel Gold brauchst du sicher nicht, um dich zu erinnern. Da würde auch weniger reichen.“
„Und der Rest wäre für dich?“ fragte der Drache.
„Natürlich – der Mensch ist ja jetzt tot.“
„Und selbst wenn nicht ...“
„Genau! Glaubst du ernsthaft, ich hätte dem Menschen etwas abgegeben? Er war schon tot, als er den Auftrag an nahm. Er wusste es nur noch nicht.“
„Ich verstehe deinen Plan: Töte den Drachen und erhalte das Gold. Töte den Partner und das Gold verdoppelt sich.“
Der Vampir wurde unwillig: „Ich will gut von dem Gold leben – und ich will ewig leben. Also ...“
Der Drache begann schallend zu lachen.
„Ewig leben? Mein Freund, ich bin älter als du und ich bin sogar älter als dein Geschlecht. Ich habe gesehen, wie der erste Vampir entstand. Ich lebe ewig – und seit Jahrhunderten halte ich mich von der Welt und ihrem Leben fern. Dein ewiges Leben und das meinige – es ist ein Fluch. Ewiges Leben bedeutet ewiger Wandel und ewig neue Feinde. Kannst du erahnen, wie viele ich schon töten musste, die sich die Haut eines Drachen verdienen wollte? Und jedes Mal kommen die Freunde und Brüder, um sie zu rächen.
Nein, ewiges Leben ist nur für die, die dafür geschaffen sind.“
„Ja, wie auch immer“ wischte der Vampir die Aussage weg. „Sollte ich nun nicht meinen Teil suchen?“
„Deinen Teil? Ach ja, stimmt. Deinen Anteil sollst du natürlich bekommen.“ Der Drache brüllte und spie Feuer.
Die gleißend helle Flamme traf Lircan und ließ ihn langsam und schreiend verglühen. Erst, als er ganz zu Asche zerfallen war, ließ der Drache seinen Feueratem wieder verstummen.
„Steh auf, Mensch. Ihn hast du getäuscht – mich nicht.“
Maris erhob sich verwundert: „Woher wisst Ihr ...?“
„Ich kenne mein Feuer – und es traf dich nicht genug, um dich ernsthaft zu verletzten, geschweige denn zu töten.“
„Und, was habt Ihr nun mit mir vor?“
„Das ist doch einfach: Bedien dich!“
„Ihr meint ...?“
„Ja. In Einem hatte der Vampir recht. Es fällt nicht auf, wenn ein wenig fehlt. Also nimm, soviel du tragen kannst und verschwinde. Und komme ja nie mehr zurück. Ein nächstes Mal würdest du nicht überleben.“
Ungläubig und mit dem Wissen, gerade dem Tod entronnen zu sein, fragte Maris: „Wie kann ich es Euch danken?“
„Vergiss, was du gesehen. Vergiss alles und erzähle es niemals. Ich will keine neuen Drachenjäger. Ich will einfach meine Ruhe.“
„Ja, das werde ich.“
„Ach und noch eines: Wenn dir jemand erzählt, er hätte einen Drachen gesehen. Lache ihn aus und sage, die seien längst ausgestorben. Als Geist lebt es sich leichter in dieser Welt.“
„Ja, ich verstehe. Vielen Dank, Drache.“

Schnell und doch vorsichtig füllte Maris seine Taschen und verschwand.

Der Drache aber schloss seine Augen und versank wieder in seinen langen Dämmerschlaf.


ENDE


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