Viele Jahre nach dem
ersten König Narnias, König Frank, herrschte König
Valerian. Er war ein Nachkomme Franks und seinen Untertanen ein
würdiger König. Durch seine Weisheit und sein Verständnis
war er zu hohen Ehren gekommen und die Einwohner Narnias vertrauten
ihm vorbehaltlos. Ein Teil dieses Vertrauen lag darin begründet,
dass Valerian um seine Schwächen wusste und seinen Hofstaat mit
Personen füllte, die seine Schwächen ausgleichen konnten
und die auch dem König eine unangenehme Wahrheit nicht vor
enthielten. Einer dieser Gefährten war Cassio, ein ehrwürdiger
Zentaur. Er verstand sich gut auf die Kunst der Schlachtenführung,
war aber ebenso geschickt in der Kunst der Diplomatie. Ihn verband
ein starkes Band der Freundschaft mit dem König und beide sahen
in dem anderen einen Bruder. Auch Baldur, einer der Rotzwerge, stand
dem König sehr nahe. Er hatte sich als ein treuer und tüchtiger
Verwalter erwiesen. Oft hatte der König, wenn er in den Krieg
zog, Baldur sein Reich anvertraut.
Dennoch, eine Schwäche
Valerians konnte nicht verborgen werden: Er hatte nur einen Sohn
bekommen und liebte diesen über alles. Er tat nahezu alles, um
seinem Sohn das Leben angenehm zu gestalten. Cassio warnte den König
oft, dass sein Sohn so stolz und hochmütig werden könnte,
doch leider war der König ebenso stur wie Cassio selbst.
Als der König alt
geworden war und sein Ende kommen sah, bat er Cassio zu sich. Er
erbat von ihm: „Achte du auf meinem Sohn. Sei ihm Lehrer und
Gewissen. Hilf ihm, wann immer er Hilfe benötigt.“ Und
Cassio gab dem sterbenden König sein Wort.
So wurde Ramon König
von Narnia. Auch er war bei dem Volk beliebt, doch schien ein
Schatten in das Königtum gekommen zu sein. Niemand konnte
beschreiben, was sich geändert hatte, doch alle spürten,
dass etwas anders war. Da es aber ungreifbar blieb, gewöhnte
sich Narnia schnell an dieses Gefühl und niemand maß
dieser Änderung große Bedeutung bei.
****
Eines Tages ritt König
Ramon mit seinen Begleitern aus. Sie wollten auf die Jagd gehen, doch
rasteten sie an einer Flussgabelung. Während sie dort saßen,
kamen Nymphen aus dem Wasser und bewirteten den König und seine
Begleiter. Wie alle Nymphen, waren auch diese sowohl schön als
auch freundlich und die Männer genossen die Zeit mit ihnen. Es
wurde ein fröhlicher und beschwingter Tag. Auch wenn sie nicht
zum Jagen gekommen waren, sah keiner der Männer die Zeit als
vergeudet an.
****
Immer wieder ritt der
König nun an diesen Platz und hoffte die Nymphen erneut zu
sehen. Und selten wurde er enttäuscht.
Eine, Tavia mit Namen,
hatte es ihm besonders getan. Ganze Abende verbrachten die beiden
zusammen in Gesprächen und kurzweiliger Unterhaltung. Und schon
nach kurzer Zeit merkten sie, dass sie den jeweils anderen mehr als
lieb gewonnen hatten.
Auch Baldur und Cassio
merkten, dass zwischen Tavia und Ramon ein junges Band der Liebe
geflochten wurde. Sie ermunterten den König, Tavia zu seiner
Frau zu nehmen.
Und so geschah es.
****
Ein rauschendes Fest
fand zur Feier der Hochzeit statt. Mehrere Tage lang ruhte die Arbeit
in Narnia und die Untertanen feierten und freuten sich mit ihrem
König. Der König war voller Freude und Glück, dass er
so eine anmutige und edle Frau gefunden hatte. Im ganzen Königreich
wurden Lieder über ihre Schönheit und Anmut gesungen. Noch
ahnte keiner, dass diese Liebe Narnia in großes Unglück
stürzen würde.
****
Schon nach kurzer Zeit
machte sich Argwohn im Herzen des Königs breit. Seine Frau war
freundlich –
zu freundlich, wie er fand. Jeder
Bedienstete wurde von ihr mit ausgesprochener Herzlichkeit behandelt
und jeder Kurier sehr gut bewirtet. Und immer wieder meinte der
König, in ihrem Verhalten eine gewisse Untreue zu entdecken.
Doch er teilte seinen Verdacht mit niemandem. Er war sich nicht
sicher, wem er in seinem Hofstaat in dieser Angesicht trauen konnte.
Jeder konnte, so dachte er, derjenige sein, der ihm seine Frau
entreißen wollte. Und so verschloss er sich selbst gegenüber
Baldur und Cassio.
Die beiden hatten die
Veränderung bei dem König bemerkt – doch auch ihnen
blieb nur, Vermutungen anzustellen. Die Königin, die sie ins
Vertrauen zogen, konnte selbstverständlich auch nicht erkennen,
was des Königs Herz bedrückte.
****
Einige Wochen später,
der König war wieder in seinen Verdächtigungen versunken,
meldete der Herold: „Darn aus der Westlichen Mark. “
Darn kam rein und sah
furchtbar aus. Er war einer der Schwarzzwerge, aber sein Haar hing
wirr von seinem Kopf. Sein Bart war völlig verfilzt und
verdreckt. Seine Kleidung hing ihm nur noch lose an seinem Körper.
Man konnte ihm ansehen, dass er wohl eine schlimme und schreckliche
Zeit hinter sich hatte. Aus seinem Blick sprach unglaubliche Furcht.
Ramons Hand zuckte zu
seinem Schwert. Er konnte sich nicht vorstellen, wer es wagen würde,
die Bewohner Narnias so zu erschrecken. Was auch immer die Ursache
für diese Angst war, er würde sie finden und zerstören.
„Sprecht, Darn“ sagte er.
„Mein König,
verzeiht mir mein Eintreten und Aussehen. Aber ich muss euch schlimme
Kunde bringen. Meine Brüder und ich, wir sind fünfe an der
Zahl, leben in der Westlichen Mark, am äußeren Ende eures
Reiches. Schon seit vielen Jahren wohnten und arbeiteten wir dort in
Frieden. Doch seit einem Jahr ist dieser Friede zerstört.
Eine
Hexe ist zu
uns gezogen. Erst schien alles wie früher, doch mit der Zeit
wurde es immer unheimlicher. Wir hören Geräusche des
Nachts. Unsere Arbeitsstätten und Wohnungen finden wir zerwühlt
und zerstört vor. Erst hatten wir geglaubt, wir könnten
selbst damit fertig werden, doch es wurde immer schlimmer.
Mein König, wir
sind verzweifelt. Wir trauen uns nicht mehr aus unseren Höhlen.
Bitte – Ihr müsst uns helfen. Ihr müsst diese Hexe
vertreiben.“
Die letzten Sätze hatte Darn regelrecht flehend vorgetragen.
Der König stand
auf und ging zu Darn hin. „Tapferer Zwerg“ sagte er, „ihr
alle habt mehr erduldet, als manch anderer ertragen könnte. Ich
werde euch sofort helfen und euch von dieser Geißel befreien.“
****
Schon nach einem Tag
hatte der König genug Freiwillige gefunden, die bereit waren,
mit ihm zur Westlichen Mark zu reiten und den Zwergen zu helfen. Es
kamen Satyre, Mungos, Hunde und sogar zwei Elefanten.
Ramon hatte Cassio und
Baldur gebeten, in dem Palast seine Amtsgeschäfte zu übernehmen,
bis er wieder zurück kam. Auch die Königin blieb in Cair
Paravel, dem Schloss des Königs. Ramon hatte das ihr gegenüber
mit ihrer Sicherheit begründet, hoffte aber, durch eine rasche
und unerwartete Rückkehr endlich Beweise für seine
Vermutungen zu erhalten. Er ging davon aus, dass Konflikt mit der
Hexe nicht lange dauern und seine Lösung ebenso kurz wie einfach
sein würde.
****
Nach einigen Tagen
waren sie an der Höhle der Zwerge angekommen. Die anderen vier
Zwerge waren voll Freude, als sie ihren Bruder, den König und
die kleine Armee sahen.
Bereitwillig führten
sie die Truppe zum Haus der Hexe.
Es war eine alte, schon
halb verfallene Hütte. Es war von Bäumen umringt und schien
beinahe wie zugewachsen. Lediglich der Rauch, der aus Löchern
des Daches drang, zeigte an, dass es dort noch Leben gab.
Ramon stieg vom Pferd
und wollte auf die Tür zugehen.
„Mein König,
ihr wollt alleine zu der Hexe gehen?“ fragte erstaunt einer der
Elefanten.
Ein schöner Mungo
mit grau-braunen Fell und mittlerer Größe – er
reichte dem König gerade bis zum Gürtel, ergänzte:
„Diese Hexe ist gefährlich. Lasst uns mit euch kommen.“
Ramon drehte sich um:
„
Ich habe keine Angst vor einer alten Frau. Ich werde
nun alleine darein gehen und nachforschen, was diese Alte angeblich
anstellt.
Ihr könnt ja, wenn ihr Angst habt, zurück
laufen.“
Als der König
weiterging, wagte nun keiner, ihn ein zweites Mal aufzuhalten. Doch
der Mungo, sein Name war Javanicus, entstand Misstrauen. Wie die
meisten seiner Art war er ein mutiges Tier, doch er kannte auch den
Unterschied zwischen Mut und Wahnwitz. Und alleine in das Haus einer
Hexe zu gehen
– das war wahnwitzig.
****
Im Inneren war die
Hütte genauso schäbig wie von Außen. Der König
sah sich um, konnte aber die Hexe nicht entdecken. Da hörte er
eine Stimme:
„Heil Euch, mein
König. Welch edler Glanz in meiner kargen Hütte. Ich freue
mich außerordentlich, Euch hier begrüßen zu können.
Sagt, was führt Euch her?“
Diese Stimme war
brüchig und düster, mehr ein Zischen als ein Sprechen. Als
der König nun in Richtung der Stimme blickte, sah er sie:
Eine kleine, schwache
und alte Frau, krumm im Gang, umhüllt mit schwarzen Tüchern,
die lediglich ein Teil des Gesichtes vorbei ließen.
Seine Hand, die an
seinem Schwert lag, schob das Schwert zurück in die Scheide.
„Du bist der
Grund, warum ich hier bin. Du verschreckst mein Volk und quälst
sie.“
„Aber mein König,
was quält Euch?“ unterbrach ihn die Hexe. „Ihr seid
ruhelos, Ihr seid aufgewühlt. Euer eigenes Problem bedarf einer
Lösung. Denn ein König muss wissen, wie es um die Treue
seiner Gattin steht.“
Erregt sprach Ramon.
„Wisst ihr, ob sie mich hintergeht?“
„Nein, mein
König. Aber ich kann es erfahren.“
„Sprecht!“
„Mein König,
was würdet Ihr mir dafür geben?“
„Ich habe eine
Armee vor deiner Tür, die dich töten will.“
„Und dann erfahrt
Ihr es nie. Dabei ist mein Preis gering. Alles, was ich will, ist ein
wenig Holz für den Winter. Ich bin alt und schwach und kann
keinen Baum schlagen. Füllt meine Vorräte auf und ich will
euch gerne helfen.“
„So weise ich die
Zwerge an, dass sie den Wald um eure Hütte schlagen.“
„Mein König,
das wäre höchst unklug. Dieser Wald ist jung und frisch.
Diesen Wald zu verbrennen wäre eine Schande. Nein, mein König,
es gibt ältere Bäume in Narnia. Nehmt diese!“
„Ältere
Bäume? Was meint ihr?“
„In der Nähe
vom Laternendickicht, mein König, gibt es alte Bäume –
manche tragen schon seit Jahrzehnten keine Frucht mehr und manche
tragen Äpfel, die silbern funkeln. Glaubt ihr, dass solche Äpfel
gesund sind?“
Unwillkürlich
schüttelte Ramon den Kopf.
„Würdet ihr
diese Bäume schlagen lassen, so wäre uns beiden geholfen.
Ihr hättet Platz für junge und starke Bäume und
ich hätte ein wenig Feuerholz.“
Ramon bemerkte nicht
das verräterische und begierige Funkeln in ihren Augen, als er
auf sie zu kam und sprach: „Lasst ihr dann meine Untertanen in
Frieden und verratet mir, welches Spiel die Königin spielt?“
„Oh ja, mein
König. Bringt mir nur eine Locke ihres Haares und ich werde Euch
alles verraten, was ihr wissen müsst.“
„Dann ist es
beschlossen.“ Sprach der König und, während er sich
zum Gehen wandte, fügte er an: „Ich werde wiederkommen,
sobald dein Holzvorrat aufgefüllt ist.“
„Ich freue mich
darauf.“ antwortete die Hexe, während ihre Augen
triumphierend leuchteten.
****
„Es ist alles
vorbei. Ihr könnt nach Hause gehen.“ Mit diesen Worten
trat der König vor sein Heer. Der Elefantenbulle wollte schon
nachfragen, was nun geschehen war, aber ein Blick des Königs
überzeugte ihn davon, besser zu schweigen.
“Los, geht
nach Hause. Ihr habt mir gut gedient, aber ich brauche eure Hilfe
nicht mehr. – Darn, du bleibst bitte noch hier.“
Langsam und grummelnd
verstreute sich das Heer Ramons. Die Tiere und Satyre waren zwar
erstaunt und unwillig, aber sie entschieden sich, der Anordnung des
Königs Folge zu leisten.
****
Doch nach einiger Zeit
wurde der Unmut von Javanicus so groß, dass er umkehrte. Er war
sich sicher, dass irgendetwas
Böses beim Haus der Hexe
passierte.
****
Mittlerweile waren Darn
und Ramon zurück zum Haus der Zwerge geritten. Javanicus kam
gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die beiden im Haus verschwanden
und die Türe schlossen. Er kroch flink zu einem der Fenster, das
leicht offen stand und wartete nun, was er drinnen hören würde:
****
„Meine Zwerge,
die Frau, die ihr Hexe nennt, wird euch nun in Ruhe lassen. Doch
dafür müsst ihr einen Gefallen tun. Reitet zum
Laternendickicht und schlagt dort in der Nähe alle Bäume um
– alle alten und schwachen. Bringt das Holz her, richtet der
Frau einen Verschlag für all das Holz her und füllt diesen
bis oben hin. Dann sagt mir Bescheid und ich komme, um sie an ihr
Versprechen zu erinnern.“
****
Als der Mungo dies
hörte, stellte sich sein Fell auf.
Die Bäume beim
Laternendickicht? Er erinnerte sich, das wohl vor langer Zeit
Aslan selbst einen dieser Bäume gepflanzt hatte und den
Bewohnern Narnia gesagt hatte, dieser Baum sollte geschützt
werden.
Ihm war klar, dass nun
etwas geschehen musste. Aber er alleine konnte den König nicht
aufhalten. Und so eilte er nach Cair Paravel.
****
Dort sprach er mit
Baldur und Cassio – auch die beiden erinnerten sich daran, dass
dieser Wald ein besonderer war. Aber auch sie wussten nicht, was
genau damals, bei der Erschaffung der Welt geschehen war.
Also galoppierte Cassio
so schnell wie möglich dem König entgegen, um ihn von
seinem Vorhaben aufzuhalten, während Baldur in die Archive ging
und nach Hinweisen suchte.
Sie mussten erfahren, was diesen Wald
so besonders machte.
****
Als Cassio den König
erreichte, hielt er sich nicht lange auf. „Mein König, Ihr
seid dabei, einen großen Fehler zu begehen. Der alte Wald am
Laternendickicht ist wichtig für Narnia. Aslan selbst…“
Doch Ramon schnitt ihm
das Wort ab: „Schweig still, Cassio. Dieser Wald ist alt und er
muss weg. Und ich dulde keinen Widerspruch.“
Erneut hob Cassio an:
„Aber mein König …“
Da rastete Ramon aus:
„Ein weiteres Wort – nur ein Wort, und ich werde dich
wegen Hochverrat verhaften lassen. Auch wenn du ein Freund meines
Vaters warst, ICH DULDE KEINEN WIDERSPRUCH IN DIESER SITUATION.“
Cassio war schockiert
und traurig – so weit war es gekommen. Er drehte sich um und
trabte langsam zurück zum Königsschloss. Ramon, der
dasselbe Ziel hatte, wählte einen anderen Weg.
****
Im Schloss war die Luft
mit Aggression und Wut erfüllt. Die meisten hatten zwar nicht
erfahren, was genau passiert war, aber alle wussten, dass sich der
König mit seinen Berater überworfen hatte.
Baldur und Cassio, nun
aus der Gunst des Königs verbannt, hielten sich noch in
Schlossnähe auf, aber sie mussten einsehen, dass diese Aufgabe
ihnen entglitten war. Was auch immer passieren würde,
sie
könnten es nicht mehr aufhalten.
****
Nach einigen Tagen kam
Javanicus zu ihnen. Sie hatten ihn gebeten, ihnen zu berichten, wenn
die Zwerge ihre Arbeit erledigt hatte. Er zeichnete ein schlimmes
Bild von der Landschaft um die Laterne:
„Viele Bäume
sind geschlagen. Das Flussufer ist komplett freigelegt worden. Das
Land ist öde und kahl geworden. Es sieht einfach schrecklich
aus. Warum konntet Ihr es nicht verhindern?“
Mit diesen Worten löste
er bei beiden eine schwermütige Traurigkeit und Verzweiflung
aus.
****
Der König dagegen
nahm die Nachricht Darns sehr fröhlich auf.
Endlich würde
er Klarheit gewinnen. Schon am nächsten Tag machte er sich
auf den Weg zur Hexe. Neben Schild und Schwert nahm er dieses Mal
auch ein paar Haare seiner Königin mit. Auch dieses Mal übergab
er sein Schloss und sein Reich an Baldur – Cassio hatte sich
durch seine offenen Widerworte stärker mit dem König
überworfen und wurde nicht wieder in sein altes Amt eingesetzt.
****
„Mein König,
Ihr seid zurück? Habt Ihr mir mitgebracht, was wir benötigen?“
sprach die Hexe, während sie in einem Topf über brennendem
Feuer rührte.
„Ja, ich habe
alles mitgebracht. Ich bat sie um eine einzige Strähne ihres
goldenen Haares - sie gab mir drei.“
„So wirf sie in
den Topf!“ sprach die Hexe.
Ramon ging zum Topf und
warf die Strähnen in die kochende Brühe. Dann trat er
zurück.
Die Hexe rührte
und rührte und Ramon befürchtete schon, sie habe ihn im
Raum vergessen. Dann begann sie mit zischender und boshafter Stimme
zu sprechen, während ihre Augen weiter starr auf den Topf
gerichtet waren:
„Dreh
dich um und sie wird wandern von der einen Hand zur andern!
Sie
wird nie dein Eigen sein, nie besitzt du sie allein!
Kaum
bist du dem Blick entschwunden, hat sie schon Ersatz gefunden!
Sie
wird nie alleine, niemals treu und du nie sicher sein!“
Ramon konnte seinen
Zorn nicht beherrschen – er schmiss den Tisch um, griff sich
einen Stuhl und schlug voller Wut auf den Tisch ein, bis der Stuhl in
seinen Händen zersplitterte. Dabei brüllte er wie von
Sinnen immer wieder: „NEIN“
Es entging im völlig,
wie die Hexe langsam von dem Topf wegschlich, mit einem
triumphierenden Lächeln in eine dunkle Ecke ihrer Hütte
ging und eine verborgene Tür öffnete. Eine Gestalt trat
herein.
****
Immer noch stark
erregt, aber sichtlich bemüht, seine Fassung wiederzuerlangen,
stand Ramon im Raum und fauchte: „Sie muss sterben!“
„Wer?“
fragte ihn eine hohle Stimme. Nun erst bemerkte Ramon, dass eine
weitere Person im Raum war. Es war ein großer Mann, ganz in
Schwarz gehüllt. Lediglich seine kalten Augen, die leicht
gelblich funkelten, konnte Ramon erkennen.
„Meine Frau –
die Königin.“
„Werdet ihr mich
dafür bezahlen?“
„Wenn du sie
tötest – ja!“
Langsam schritt der
Mann zur Tür und verließ die Hütte. Ramon selbst
drehte sich zur Hexe um und sagte: „Verzeih mir bitte meinen
Wutausbruch.“
„So ergeht es nun mal dem Überbringer
schlechter Nachrichten.“
„Ja,
wahrscheinlich hast du recht. - Ich erwarte, dass du unsere Abmachung
einhälst.“
„Gewiss, mein
König.“
Ohne ein weiteres Wort verließ Ramon die
Hütte. Er ritt zu Darn und seinen Brüdern und wollte dort
die Nacht verbringen. Schwermut hatte ihn erfasst – denn auch
wenn er schon lange an Tavias Treue zweifelte, so hatte er sie doch
wirklich geliebt.
****
Am nächsten Tag
machte sich Ramon auf, zurück nach Cair Paravel zu reiten. Doch
er ritt langsam und ließ sich viel Zeit – beherbergte das
Schloss doch den Grund für all seinen Trübsal.
Im Laufe der Reise
wurde sein Herz immer schwermütiger.
Doch auf einmal hörte
er links von sich ein Gebrüll wie von einem Löwen. Und dann
hörte er ein weiteres auf der rechten Seiten. Dann noch eines
von hinten und zuletzt kam ein Gebrüll von vorne.
Er war
eingekreist!
Ramon zog sein Schwert
und nahm seinen Schild auf. Das Gebrüll kam von allen Seiten
immer näher und näher. Ramon wurde unruhiger und
furchtsamer.
Da sprang er direkt vor
ihn – ein riesiger, furchteinflößender Löwe mit
eine Fell wie aus Gold, einer buschigen, braunen Mähne stieß
ein markerschütterndes Gebrüll aus.
Ramon hob sein Schwert,
doch es erhitzte sich in seiner Hand und er musste es fallen lassen.
Sein Pferd scheute und warf Ramon ab, dann rannte es davon. Ramon
stand nun unbewaffnet vor dem Löwen. Als er sich nach dem
Schwert bücken wollte, sprach der Löwe: „Ramon, Sohn
des Valerian. Du bist ein Narr – Willst du deinen Narreteien
nun noch eine weitere hinzufügen?“
Ramon war völlig
verwundert: „Wer bist du und woher kennst du mich?“
„Ich
bin Aslan, der Sohn des großen Königs – ICH bin der
wahre Herrscher von Narnia. Ich habe damals deinen Vorfahren Frank
zum König gekrönt. Auch dich habe ich zum König werden
lassen.“
„Aslan, Ihr?“ verwunderte sich Ramon.
„Mein ganzes Leben habe ich auf diesen Moment gewartet.“
„Dennoch sollte
dich meine Ankunft in große Trauer versetzen, denn ich bin hier
um zu retten, was du zerstört hast.“
„Ich verstehe
nicht. Was soll ich denn zerstört haben?“
„Hast
du nicht befohlen, die Bäume des Laternendickichts zu fällen?
Hast du nicht so auch den einen Baum umschlagen lassen, der Narnia
beschützen sollte? Hast du Narnia nicht so in die größte
Gefahr gebracht, die es seit dem Anbeginn der Zeit für Narnia
gab?“
„Soll das etwa heißen, dass die Legenden
von früher …“ setzte Ramon an.
„Die Legenden
sind wahr. Dieser Baum wurde gepflanzt, noch bevor es die ersten
Könige in Narnia gab. Er war euer Schutz.“
„Aber –
warum habt Ihr mich nicht gewarnt? Warum habt Ihr mich nicht davon
abgehalten?“ fragte Ramon, sowohl verzweifelt als auch
anklagend.
„Du
warst
gewarnt. Zwei deiner treusten Männer haben dich gewarnt, doch du
hast ihre Warnungen verpuffen lassen. Nein, Ramon, niemand anderes
als du selbst hättest die Katastrophe verhindern können.“
Dieser Schock traf
Ramon wie ein Schlag ins Gesicht. Er
wusste, dass Aslan recht
hatte. Er allein war schuld an dem, was geschah. Verzweifelt sank er
auf seine Knie.
„Und nun? Gibt es
noch Hoffnung für Narnia?“ war seine verzweifelte,
flehende Frage.
Alsans Stimme wurde
weicher und friedlicher: „Ja, es gibt Hoffnung. Ich werde auf
Narnia aufpassen und an dem Tag, an dem zwei Adamssöhne und zwei
Evastöchter auf dem Thron Narnias sitzen werden, ist die Zeit
des Bösen vorbei.“
Als Ramon dies hörte,
fing er an zu weinen.
„Dann ist es gut.
Wenn du weiter für Narnia stehst, dann bin ich zufrieden.
Dennoch wäre es mir lieber, ich hätte meinen Fehler nicht
begangen. Sag, für welche meiner Fehler muss Narnia noch
büßen?“
Aslan kam langsam auf Ramon zu, und mit
einer Pfote erhob er Ramons auf die Brust gesenkten Kopf.
„Du trauerst um
Narnia – und nicht um dich. Das freut mich – dann gibt es
auch noch Hoffnung
für
dich. Doch ich kann dich beruhigen, dein anderer Fehler
wird dich treffen. Allerdings wird er das mit großer Wucht
tun.“
„Was meinst du?“
„Tavia, deine
Königin. Sie war die schönste und treuste Frau, die sich
ein Bettler oder ein König wünschen kann. Doch du hast
dieses Geschenk verworfen wie ein Narr, der eine Perle findet und sie
für Unrat hält.“
„Du meinst …“
„Die Hexe hat
dich belogen. Es ist ihr völlig egal gewesen, was mit dir und
deiner Königin passiert. Ihr war nur wichtig, dass du den Baum,
der Narnia schützt, fällen lässt. Sie hat dir erzählt,
was immer sie wollte – nur um dich zu quälen.“
„So hat sie mich
zu meinem eigenen Untergang getrieben.“ stellte Ramon
resigniert fest.
„Leider ja. Dein
Königreich ist nun zerschlagen.“
„Und was soll ich
nun tun?“ fragte Ramon.
„Das, mein Sohn,
musst du entscheiden. Bedenke, was das Beste für Narnia ist und
handle dann so. Ich traue dir zu, dass du diese Entscheidung fällen
kannst – auch wenn sie dir nicht leicht fallen wird.“
Aslan
drehte sich um und wollte weggehen.
„Mein Herr –
wirst du mir je vergeben?“ rief Ramon ihm hinterher.
Aslan drehte seinen
Kopf zu Ramon um und schaute ihn voller Liebe an. „Das habe ich
schon getan.“ sagte er und dann trabte er von dannen.
****
Ramon saß noch
eine Weile auf dem Boden. Diese Erfahrung, dieses Treffen mit Aslan,
musste er erst verarbeiten. Er hatte sich das oft gewünscht,
einmal Aslan von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, und doch war
diese Begegnung ganz anders gewesen, als er sie sich selbst in seinen
kühnsten Träumen ausgemalt hatte.
Nach einiger Zeit stand
er auf, nahm Schwert und Schild und machte sich auf die Suche nach
seinem Pferd.
Als er es gefunden
hatte, ritt er in vollem Galopp zu seinem Schloss.
Vielleicht hatte
der Attentäter noch nicht zugeschlagen – vielleicht konnte
wenigstens Tavia noch gerettet werden.
****
Doch als er nur noch
wenige Meilen vom Schloss entfernt war, kam ein Rotkehlchen zu dem
König geflogen. Ramon bremste sein Pferd und hieß dem
Rotkehlchen, zu ihm zu kommen. Es setzte sich zwischen die Ohren des
Pferdes und sprach: „Heil Euch, mein König, Ich muss euch
traurige Kunde überbringen. Eure Königin, Tavia, war an
diesem Tage spazieren und kam nicht zurück – wir fanden
sie tot, zerfleischt wie durch einen Wolf. Verzeiht mir, dass ich
euch so schlechte Kunde überbringen muss.“
Als Ramon das hörte,
wurde er tief betrübt und er ritt schweigend, begleitend von dem
Rotkehlchen, dass nicht von seiner Seite wich, weiter.
****
Im Schloss
angekommen, erkundigte sich Ramon genauer nach den Umständen
ihres Todes – es war im Großen und Ganzen so, wie das
Rotkehlchen es ihm erzählt hatte. Sie war auf einem einsamen
Spaziergang ums Leben gekommen – einem Spaziergang, wie sie ihn
täglich zu machen pflegte. Baldur fühlte sich zutiefst
schuldig und wollte Ramon um Verzeihung bieten, doch als er das Thema
ansprach, sagte Ramon: „Es ist nicht deine Schuld gewesen.“
Doch
Baldur konnte vor Trauer kaum noch stehen.
****
Wenige
Stunden später erschien ein Mann am Königshof – er
war ganz in Schwarz gehüllt, lediglich seine wilden und gelben
Augen konnte man erkennen. Dieser Mann wollte zum König
vorgelassen werden. Ramon empfing ihn alleine im Thronsaal.
****
„Ihr
kommt zu spät, die Königin ist bereits gestorben. Und ich
bin froh, dass es nicht auf meinen Befehl hin geschah.“
begrüßte ihn Ramon.
„Ihr
irrt, mein König – ich kam zur rechten Zeit und nun
fordere ich meinen Lohn.“ antwortete die hohle Stimme.
„Ein
Wolf hat sie gerissen.“ antwortete Ramon, „Ihr wollt doch
nicht behaupten, dass ihr wie ein Wolf töten könnt.“
„Doch
– genau das will ich.“ erwiderte der Mann und seine Augen
leuchtenden stechend. Er kam auf den König zu, und während
er näher kam, wurde sein Gesicht immer länger und haariger,
seine Hände zu Klauen und seine Beine zu Wolfsläufen.
Die
Verwandlung lief so schnell zustatten, dass der König nur sein
Schwert erheben und um Hilfe rufen konnte, als schon ein
ausgewachsener Wolf mit schwarzem Fell, schrecklichen Klauen und
einem gefährlichen Gebiss vor ihm stand. Der Wolf setzte zum
Sprung an und Ramon konnte nur gerade so eben ausweichen – doch
sein Schrei war nicht ungehört verhallt.
Cassio,
der vor dem Thronsaal gewartet hatte, um dem König sein Beileid
auszusprechen, kam herein gestürzt. Er erkannte sofort die Lage
und todesmutig sprang er zwischen den Wolf und den König –
er zog sein Breitschwert, dass er bei sich trug und während er
mit der rechten Hand den Kopf des Wolfs abwehrte, hieb er mit dem
Schwert in der linken Hand auf den Wolf ein – der Wolf fiel
unter diesen tödlichen Streichen.
****
„Mein
König, wie konnte das geschehen? Beinahe wäre euch das
selbige Schicksal beschieden wie eurer Königin.“ sprach
Cassio, während Ramon die Bisswunden an seinem rechten Arm
verband.
„Ja
– und bei mir wäre es noch nicht mal eine Schande
gewesen.“ antwortete Ramon.
Cassio sah ihn verwundert
an.
„Warte hier, Cassio. Ich werde Baldur zu uns bitten und
euch dann alles erklären.“ erwiderte Ramon und verließ
den Thronsaal um Baldur zu holen.
****
Einige
Tage später war die Beerdigung Tavias. Aus allen Teilen Narnias
strömten die Bewohner herbei um von ihrer Königin Abschied
zu nehmen.
Nach der
Beisetzung versammelten sich alle im Schlosshof, denn es wurde
verkündigt, dass der König selbst etwas zu den Umständen
ihres Todes sagen wollte.
Und in der
Tat erschien der König. Er sah abgespannt und müde aus –
und er hatte alles von seinem früheren Stolz und Hochmut
verloren. Begleitet wurde er von dem Zwerg Baldur und dem Zentauren
Cassio, die beide schon unter seinem Vater Großes vollbracht
hatten.
Nach einigen Momenten der Sammlung begann der König
zu sprechen: „Bewohner Narnias, Schreckliches ist dieser Tage
in Narnia geschehen. Ich würde euch gerne sagen, dass die
Probleme bereits vorüber sind, aber tatsächlich haben sie
erst angefangen. Und zu meiner Schande muss ich geschehen, dass ich
Schuld an diesem Unglück bin.“
Dann
erzählte Ramon alles – er erzählte von seiner
Eifersucht, von seinem Geschäft mit der Hexe, dem Mordkomplott
gegen die Königin und von seinem Gespräch mit Aslan. Kein
Detail, so schmerzhaft es für ihn auch war, ließ er aus.
Als er zu Ende berichtet hatte, sprach er:
"Dies
ist das wahre Unglück für Narnia. Ihr werdet diejenigen
sein, die für meinen Fehler büßen müssen –
vielleicht nicht heute, und vielleicht auch nicht morgen, aber das
Unglück, von dem Aslan sprach,
wird kommen. Und weil ich
die Hauptschuld daran trage, habe ich beschlossen, hiermit in das
Exil zu gehen – ich habe Narnia zu sehr verraten, um ihm noch
weiter von Nutzen zu sein. An meiner Stelle sollen Baldur und Cassio“
hier zeigte er nach links und rechts „als Stellvertreter des
Königs, als Verwalter, über euch und eure Nachkommen
herrschen.
Zwei
Bitten habe ich an euch: Die eine betrifft mich selbst. Wenn ihr
euren Kindern von mir erzählt, so bitte ich euch, sprecht von
mir, wie ich bin – verkleinert nichts, noch setzt in Bosheit
zu. Dann müsst ihr melden, von einem, der nicht klug, doch zu
sehr liebte.
Das zweite betrifft euch: Erinnert euch beständig an Aslans Versprechen. Er
hat versprochen, dass die Tage des Bösen vorbei sind, sobald
zwei Adamssöhne und zwei Evastöchter auf dem Throne Narnias
sitzen. Wartet auf diesen Tag! Sucht diese vier Menschen und gebt die
Hoffnung nicht auf! Erinnert euch beständig daran, dass Aslan
sein Wort halten wird! Und wartet auf den Tag, an dem dies geschehen
wird!“
****
Dies war
die letzte Amtshandlung des Königs Ramon – dem letzten
König Narnias vor der dunklen Zeit in Narnia.
Über
Ramon gibt es nur noch zu berichten, dass er tatsächlich ins
Exil ging – er ward nie wieder in Narnia gesehen. Cassio hatte
sich entschieden, dem König in sein Exil zu folgen, und so
lebten die beiden für den Rest ihres Lebens in der Nähe des
Archenlandes und führten ein einfachen, doch erfülltes
Leben.
Baldur,
der Verwalter Narnias, begann schon nach kurzer Zeit, Vorbereitungen
für die angekündigten schlimmen Zeiten zu treffen. So ließ
er im Thronsaal vier Throne für die versprochenen Könige
aufstellen. Auch versuchte er, die Hexe, die den König verführt
hatte, zu jagen und zu vertreiben – leider ohne Erfolg.
In Narnia
selbst gingen nun Angst und Hoffnung Hand in Hand. Die Bewohner
Narnias hatten große Furcht vor dem, was Aslan angekündigt
hatte – doch gleichzeitig hofften sie, dass Aslan sie nicht im
Stich lassen würde.