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Geister & Narren


Vor vielen Jahren lebte in einem fernen Königreich ein weiser König. Dieser König war ein guter und stolzer König - und er liebte seine einzige Tochter, Leandra, über alles.
So sorgte er dafür, dass sie die eine wunderbare Bildung erhielt. Viele weise Männer unterrichteten und lehrten sie.
Im Laufe der Jahre wuchs seine Tochter zu einer Frau heran - sie wurde wunderschön, beinahe wie in einem Märchen.

Und so verwundert es nicht, dass viele Prinzen und Könige um ihre Hand anhielten. Jeden Monat kam ein neuer Freier und sprach beim König vor. Manche dieser Männer waren reich, andere waren schön - und wieder andere waren weise.
Doch Leandra hatte mit ihrem Vater entschieden, jeden Bewerber auf eine Probe zu stellen. Nur, wer diese bestehen würde, dem würde sie ihre Hand zur Ehe reichen.
Die Probe schien denkbar einfach - eine Nacht sollte der Bewerber im alten Schloss in einem dunklen Wald ausharren. Doch dieses Schloss war ein ganz Besonderes - der König und seine Tochter hatten es so umgebaut, dass sie in der Nacht dort Geister erscheinen und Geisterstimmen erklingen lassen konnten. Und jeder Bewerber musste sich diesen Schrecken stellen.
Die meisten flohen aber im Laufe einer Nacht - und hielt es einer bis in die frühen Morgenstimmen aus, so kam die Prinzessin selbst in sein Schlafgemach. Sie trug schneeweiße Kleidung, hatte ihren Gesicht weiß geschminkt und ihre Haare blutrot gefärbt. Und sie sprach mit eisiger Stimme: „Hier bin ich gestorben! Ich bin die tote Königin - und ich fordere von jedem neuen König, dass er das Liebste opfert, was er hat. Ansonsten muss seine Königin ebenfalls sterben!“

Keiner der Bewerber kam nach einer solchen Nacht zurück zum Königsschloss, sondern sie alle ritten nach Hause und ließen per Boten ausrichten, dass sie ihren Antrag zurücknehmen wollen.

Und während die Prinzessin all den Männern voller Trauer nach sah, freute sich einer am Königshof - der Hofnarr war schon seit langem heimlich in die Prinzessin verliebt. Doch als Hofnarr durfte er eigentlich nicht hoffen, den für den König kam nur ein Mann von adligem Geschlecht in Frage.
Doch die Jahre gingen ins Land - mehr und mehr Prinzen wurden abgewiesen. Und langsam wurde die Prinzessin verzweifelt. Sie war nun schon knapp 25 Jahre alt, doch noch immer war sie unvermählt.
Und langsam hörte der Strom von Prinzen auch auf - die Gerüchte und Geschichten von dem „verwunschenen Schloss“ machten ihre Runde.

Und eines Tages machte sich der Hofnarr zum König auf und er sprach: „Mein König, ich will in das verwunschene Schloss!“
Doch der König fragte: „Warum solltest du es wollen?“
Und der Hofnarr fasste sich ein Herz und antwortete: „Mein König - schon seit Jahren liebe ich eure Tochter. Ich weiß, ich bin nicht von edlem Geblüt - doch all die Edlen sind gescheitert. Wenn ich es nun bestehe - so ist euer Hofnarr besser und weiser als die Prinzen anderer Länder. Und wenn ich versage, so bin ich ja auch nur ein Narr.“
Der König sah ein, dass der Narr eine Chance verdient hatte und hieß ihn, in der nächsten Nacht im Schloss zu schlafen.

In dieser Nacht trieben es König und Prinzessin doller als je zuvor. Doch der Narr lachte nur über die Gespenster und trieb seinen Schabernack mit ihnen.
Als der Morgen kam, schlüpfte Leandra wieder in ihre Verkleidung und kam zum Hofnarr. Doch als sie gesprochen hatte, brach der bis jetzt so muntere Hofnarr zusammen und fing an zu heulen und zu schreien: „So ist sie doch in jedem Fall verloren - denn Leandra ist mir doch das Liebste auf der Welt! Was kann ihr nur tun? Alte Königin - nehmt mein Leben! Das kann ich euch geben, doch das Liebste auf der Welt, dass lasst mir!“ Und der Narr verbarg sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte herzergreifend.

Da nahm Leandra ihren weißen Ärmel, wischte die Schminke aus ihrem Gesicht und sprach mit ihrer normalen Stimme: „So sehr liebt Ihr mich?“
Der Hofnarr konnte nur nicken.
Da trat sie auf ihn zu, kniete sich vor ihn, nahm seinen Kopf aus den Händen und sah ihm tief in die Augen: „Ihr seid nur ein Narr - doch sind Eure Worte die schönsten, die ich je vernommen habe. Mein Narr - Ihr habt die Probe bestanden und mein Herz erobert!“

Auch der König war in das Zimmer gekommen und sah die beiden auf dem Boden knien. Da bereute er, dass er dem Hofnarr erlaubt hatte, diese Probe zu versuchen, und er verließ wütend das Schloss.
Die folgenden Tage durfte ihn niemand sprechen - auch Leandra nicht. Und der Hofnarr, so war sein Befehl, durfte sein Schloss nicht mehr betreten.
Und so baute sich der Hofnarr eine kleine Hütte direkt vor dem königlichen Schloss. Jeden Tag nahm er seine Laute und spielte die traurigsten Weisen, die er kannte oder erdenken konnte.

Nach einer Woche sprachen die Ritter beim König vor. Sie erinnerten den König, sich an sein Wort zu halten - schließlich hatte der Narr die Probe bestanden. Auch Leandra legte ein gutes Wort für den Narren ein.

Schließlich ließ der König den Narren zu sich rufen und fragte: „Ihr wusstet, dass die Geister nur gespielt waren?“
„Nein, Herr!“
„Also meintet Ihr ernst, was Ihr an jenem Morgen sagtet?“
„Ja, Herr!“
„Oder wolltet Ihr so Euren Stand verbessern, damit Ihr kein Narr mehr sein müsst?“
„Nein, Herr! Ich bin zufrieden damit, ein Narr zu sein. Doch eure Tochter ist der Traum meines Lebens. Und wenn ich nicht der Mann einer Königin werden kann, so werde ich sie fragen, ob sie die Frau eines Narren werden will!“
Da sprach der König: „Deine Liebe ist rein und ehrlich! Ich kann und will ihr nicht im Wege stehen. So heirate sie mit meinem Segen!“

Und so geschah es. Sie heirateten und wurden ein wunderbares Königspaar. Leandra übernahm die Regierungsgeschäfte ihres Vaters und wurde eine gute und gerechte Königin. Und der Hofnarr? Er blieb bei seiner Frau und hatte die Narrenkleidung für immer abgelegt.


ENDE


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